Islamische Dämonologie

Im Rahmen eines Nationalfondsprojekts arbeitete Tobias Nünlist den umfangreichen Nachlass von Prof. Dr. Fritz Meier zu Dämonen im Islam auf. Sind sie Vermittler oder Widersacher des Menschen? Die Darstellung berücksichtigt arabische und persische Quellen.

Dem Dämonenglauben kommt im Islam bis heute eine grosse Bedeutung zu. Für jeden gläubigen Muslim ist die Existenz von Geistern eine unbestrittene Realität. Die Dschinnen (Dämonen, Gei­ster) finden in der islamischen Offenbarung häufig Erwähnung. Ihnen ist sogar eine eigene Sure gewidmet (Sure 72). Zu den Dschinnen gehört aber auch der Teufel. Für fundamenta­listische Kreise ist er fester Bestandteil bei der Propagierung ihres Weltbilds. So erwähnten ihn z.B. die Attentäter des 11. September 2001 in ihrer „Geistlichen Anleitung“. Neuinterpretationen der Dschinnen finden wir bei modernistischen Theologen. Geister kommen aber nicht nur in den klassischen Literaturen und in weit verbreiteten Werken wie Tausendundeine Nacht vor, sondern sie spielen auch in den Texten zeitgenössischer Autoren eine wichtige Rolle.

Während sich die Ethnologie wiederholt mit dem Geisterglauben aus der Sicht des Volksislams (little tradition) auseinandergesetzt hat, fehlt eine Studie aus der Perspektive des Schriftislams (great tradition) bis heute. Diesbezüglich besteht eine Forschungslücke. Das Projekt setzt sich zum Ziel, diese Lücke zu schliessen und ein Grundlagenwerk zum Thema vorzulegen. Dabei kann sich das Vorhaben auf eine umfangreiche Materialsammlung zur islamischen Dämonologie im Nach­lass des in Fachkreisen hoch angesehenen Basler Orientalisten Fritz Meier (1912–1998) stützen (2'400 Blätter mit Übersetzungen aus Originalwerken). Aus der Aufarbeitung dieses Textmate­rials allein würde ein bedeutender Erkenntnisgewinn resultieren. Eigene Untersuchungen der arabischen und persischen Quellen sind zur vollständigen Erschliessung des Forschungsthemas jedoch unumgänglich.

In der Untersuchung nimmt die Darstellung der Einzelphänomene breiten Raum ein­. Doch es wurde auch eine Hypothese überprüft: Im Anschluss an die Forschungen verschiedener Wissenschafter galt es zu klären, ob die Welt der Dschinnen nicht eine Art Spiegel­welt zu jener der Menschen darstellt und ob Dämonen letztlich nicht Projektionen innerer Em­pfindungen sind. Die damit verbundene Externalisierung menschlicher Erfahrungen trüge dem­nach zu einer individuellen und kollektiven Existenzbewältigung bei. Angesichts der Bedeutung des Dämonenglaubens selbst in gebildeten muslimischen Kreisen weist das Projekt einen unmit­telbaren Aktualitätsbezug auf. Es beleuchtet für das Funktionieren moderner islamischer Gesell­schaften ganz allgemein zentrale Mechanismen und zeigt wichtige Aspekte ihres Weltbilds und Weltverständnisses auf. – Nachbardisziplinen werden von den Ergebnissen des Projekts im Rah­men von Anschlussstudien profitieren können.